Orgel von Christian Roetzel (Alpe bei Eckenhagen), 1818/20.
In der alten Oberfischbacher Kirche aus dem 12. Jahrhundert baute Gottfried Frisse aus Rüthen 1755/56 die erste Orgel – ein Instrument mit neun Registern, das am 21. November 1756 eingeweiht wurde. Im Laufe der Jahre war die Kirche so baufällig geworden, dass sie im Winter 1792/93 abgerissen werden musste. Die erst 36 Jahre alte Orgel lagerte man sorgfältig in einer Scheune aus, um sie später in die neue Kirche wieder einbauen zu können.
Doch dazu kam es nicht, da eine Truppe österreichischer Husaren die in der Scheune gelagerten Teile komplett zerstörten. Die neue Kirche, mit deren Bau man im Sommer 1793 begonnen hatte und deren Einweihung am 8. März 1796 stattfand – eine barocke Saalkirche nach Entwürfen von Bauinspektor Friedrich Skell (Dillenburg) – hatte so viel Geld verschlungen, dass an den Bau einer neuen Orgel zunächst nicht gedacht werden konnte, so dass die Gemeinde über 20 Jahre ohne Orgel auskommen musste.
Am 28. Mai 1818 konnte die Gemeinde endlich den Vertrag zu einem Orgelneubau mit dem Orgelbauer Christian Roetzel in Alpe bei Eckenhagen schließen. Am 24. September 1820 stellten Pfarrer und Organist der Gemeinde Oberfischbach Roetzel ein positives Zeugnis über die Fertigstellung des Instruments aus. Darin heißt es u. a., dass er „einen rühmlichen Beweiß seiner Uneigennützigkeit gegeben hat, indem Er das Orgelgehäuß nach reinem corinthischen Style, wozu Er vermöge des Accords eigentlich nicht verbunden war, ausarbeitete, ohne wegen der dadurch vermehrten Mühe und des vergrößerten Kostenaufwandes einige Entschädigung zu verlangen.“
Fast 150 Jahre überstand die Orgel nahezu unverändert. Ein 1909 von Albin Hickmann aus Dachwig eingereichter Vorschlag zu einem durchgreifenden Umbau gelangte gottseidank nicht zur Ausführung. 1917 mussten die Zinn-Prospektpfeifen für die Rüstungsindustrie abgegeben werden, sie wurden 1920 von Oskar Ladegast (Weißenfels) durch Zinkpfeifen ersetzt.
Ein gravierender Eingriff war die Renovierung, die der Orgelbauer Alfred Raupach (Hattingen) in Kooperation mit der Orgelbaufirma Werner Bosch im Jahr 1967 vornahm. Er fertigte Balg, Klaviaturen und Spieltraktur neu an und baute eine abstellbare Pedalkoppel ein, der für Roetzel charakteristische Kollektivtritt wurde entfernt. Außerdem erhielt der Prospektprinzipal neue Zinnpfeifen, auf den Pfeifenstock des schwebenden Registers Lamento kam eine Rohrflöte 4' und die originalen Register Mixtur und Trompete wurden durch neue Pfeifen ersetzt.
Im Rahmen einer umfassenden Kirchenrenovierung erfolgte in den Jahren 1991 bis 1993 auch eine gewissenhafte Restaurierung der Orgel durch die Siegener Orgelbauwerkstatt Hans Peter Mebold. Glücklicherweise waren die 1967 ausgebauten Pfeifen noch auf dem Kirchendachboden aufbewahrt worden, so dass man die ursprüngliche Disposition von 1820 wiederherstellen konnte. Um das Zusammenspiel mit modernen Instrumenten (a¹ = 440 Hz) zu ermöglichen, wurde die nachgebaute Mechanik um einen Halbton tiefer angehängt, so dass auf der Taste D das alte Cis erklingt usw. Nur alle alten groß-C-Pfeifen wurden angelängt sowie das Cis als Oktavkoppel an cisº angehängt. Trakturen, Bälge und Spieltisch stellte Hans Peter Mebold nach den noch vorhandenen originalen Details wieder her. Außerdem wurde die ursprüngliche Intonation anhand der erkennbaren Parameter rekonstruiert und der zwischenzeitlich weiß-grau übermalte Anstrich der Orgel wieder freigelegt.
Bei der Oberfischbacher Roetzel-Orgel handelt es sich um die älteste historische Orgel im Kreis Siegen-Wittgenstein. In ihrer wiederhergestellten Originalgestalt ist sie auch über die Grenzen des Siegerlandes hinaus ein wichtiges Dokument für die Orgelbaukunst der bergischen Orgelbauersippe Kleine-Roetzel-Nohl.
In der Spielanlage, die sich auf der rechten Seite der Orgel befindet, sind die Registerzüge oberhalb des Notenpults nach Stellung der Register auf der Lade angeordnet. (Die beiden Züge Ventil und Tremulant an der linken Seite des Spieltischs sind stillgelegt.) Der rekonstruierte „Progressivschweller“ ist eine mechanische Kombination, die mit dem rechten „forte“-Tritt die Prinzipalregister + Bordun 16', Terz, Mixtur und Trompetenbass aktiviert und diese mit dem linken „piano“-Tritt wieder abstößt. Die Trennung zwischen Bass und Diskant bei der Trompete ist bei c¹/cis¹. Die Temperierung ist leicht ungleichschwebend.
MANUAL | C–g³
Principal 8'
Bourdon 16'
Lamento 8' [ab fisº]
Viol di Gamba 8'
Flute amour 8' [C-H von Ged.]
Gedact 8'
Octave 4'
Quinte 3'
Octave 2'
Tertie 1 3/4' [sic]
Mixtur 4f.
Trompeten 8' B/D
Vox humana 8'
PEDAL | C–gº
angehängt
„Progressivschweller“: piano, forte.
Mechanische Schleiflade.
D-57258 Freudenberg | Kirchweg
Quellen und Literatur: Orgelakten im Archiv der ev. Kirchengemeinde Oberfischbach ⋄ 200 Jahre evangelische Johanneskirche Oberfischbach 1796-1996, Oberfischbach 1996 ⋄ Hermann J.
Busch, Die Orgeln des Kreises Siegen, Berlin 1974, S. 48ff ⋄ Rudolf Reuter, Orgeln in Westfalen, Kassel 1965, S. 91f ⋄ Frdl. Mitteilung Hans Peter Mebold ⋄ Eigener Befund.
Nr. 60 | Diese Orgel habe ich zum ersten Mal am 27.07.1999 gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 16.12.2024.
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