Orgel von Giovanni Mentasti (Varese), 1871, unter Verwendung von Pfeifenmaterial der Vorgängerorgel.
Hoch auf dem Monte Grappa über dem Ort Brezzo di Bédero am Lago Maggiore liegt die romanische Chiesa Collegiata di San Vittore Martire (Stiftskirche St. Viktor), auch Canonica genannt. Nach einem
Dekret des Mailänder Erzbischofs Robaldo wurde sie 1137 in ihrer heutigen, dreischiffigen Form auf den Überresten eines frühchristlichen Tempels errichtet. Der Glockenturm stammt von Anfang des
16. Jahrhunderts, die wertvollen Fresken sind aus dem 15. bis 18. Jahrhundert; das geschnitzte Chorgestühl hat besonders hohen historischen Wert. Vier Codices über den ambrosianischen Gesang aus
dem 12., 14. und 15. Jahrhundert sind in Brezzo di Bédero aufbewahrt.
Über die Ursprünge der Orgel der Canonica ist wenig bekannt. Im „Liber Chronicus“ von 1668 ist erwähnt, dass ein Padre Pio unter anderem aus der Verpachtung einiger Ländereien an einen gewissen
Giovanni Antonio Sponzio Gelder für den Bau der Orgel sammelte. Diese stand auf der Empore über dem Haupteingang. Auch 1748 ist die Rede von einer Orgel.
1871 war die Orgel in einem derart schlechten Zustand, dass dem varesinischen Orgelbauer Giovanni Mentasti, auch auf Drängen der Ursulinen aus dem benachbarten Stift, der Auftrag erteilt wurde, ein neues Instrument unter Verwendung alten Pfeifenmaterials zu errichten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Orgel durch den Orgelbauer Enrico Antonelli aus Como und die Fa. Nasoni e Gandini aus Varese verändert. Durch eine gewissenhafte, wissenschaftlich begleitete Restaurierung im Jahr 1973 durch die Fa. Emilio Piccinelli aus Ponteranica, begleitet durch die „Commissione per la tutela degli organi artistici della Lombardia“, wurde das bedeutende historische Instrument wieder in den Zustand von 1871 zurückversetzt. Eine weitere Instandsetzung fand 1998 durch die Fa. V. Mascioni aus Cuvio mit Unterstützung der Communità Montana Valli del Luinese statt.
An der Orgel der Canonica werden seit der Restaurierung durch Piccinelli in der Reihe „Stagione musicale della Canonica“ regelmäßig Konzerte mit namhaften Interpreten aus aller Welt veranstaltet.
Die Orgel steht auf der Sängerempore über dem Haupteingang der Kirche. Im Prospekt des für italienische Orgeln des 19. Jahrhunderts typischen, einfachen Gehäuses stehen 32 Pfeifen in mitraähnlicher Anordnung mit nach außen hin wieder ansteigender Größe. Die Labien dieser dem Register Principale 8' zugehörigen Pfeifen stehen in einer Linie. Schleierbretter sind nicht vorhanden.
In die Front des Gehäuses ist die Spielanlage eingebaut. Der Tastenumfang verläuft von C bis a³, die Trennung zwischen Bass und Diskant liegt bei cis¹/d¹. Das Pedal hat einen Umfang von C bis hº. Rechts neben Manual und Notenpult sind in zwei senkrechten Reihen die Registerhebel angeordnet: innen die Soloregister, außen die Ripieno-Register. Ein Register ist eingeschaltet, wenn der Hebel nach links geschoben und eingerastet wird; ist der Hebel nicht eingerastet, wird er durch eine Feder zurückgezogen. Rechts seitlich über der Pedalklaviatur liegen die zwei Tritte für Ripieno (Einschaltung aller Ripieno-Register durch einen großen Balken, ohne Einhaken) und die Combinazione libera alla lombarda (eine mechanische freie Kombination). Über den Pedalen sind die Hakentritte für Ance, Ripienino, Terzamano und Tasto-Pedale angebracht.
COLONNA INTERNA (Concertino) | C–a³
Fagotto 8' B.
Trombe 8' S.
Corno inglese 16' S.
Violoncello 4' B.
Viola 4' B.
Flauto in XII S. [= 2 2/3']
Ottavino 2' S.
Flutta 8' S.
Flauto 4' S.
Voce Umana 8' S.
Flagioletto 1' B.
ai pedali: [C–hº]
Ottava 4'
COLONNA ESTERNA (Ripieno) | C–a³
Principale 16' B./S.
Principale 8' B./S.
Ottava 4' B./S.
XII B./S. [= 2 2/3']
XV B./S. [= 2']
XIX [= 1 1/3']
XXII [= 1']
XXVI [= 2/3']
Due di Ripieno [XXIX + XXXIII = 1/2' + 1/3']
Due di Ripieno [XXIX + XXXIII = 1/2' + 1/3']
ai pedali: [C–hº]
Contrabasso con Ottave [= 16' + 8']
Bassi armonici 8'
ACCESSORI
Ripieno [Tiratutti]
Combinazione libera alla lombarda
Ance
Ripienino
Terzamano
Terza Mano [Concertino]
Tasto-Pedale
I-21010 Brezzo di Bédero (VA) | Via Canonica 17
Quellen und Literatur: Mario Manzin, Gli organi storici dell’Alto Verbano, Beiheft zur CD „Organi Storici dell’alto Verbano“ (mit Sergio Paolini, hrsg. von der Provincia di Varese, 1999/2000) ⋄ Eigener Befund.
Nr. 53 | Diese Orgel habe ich am 26.06.1999 während eines Italien-Urlaubs in einem Gottesdienst gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 14.03.2023.
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© Dr. Gabriel Isenberg, 2023