Orgel von Christian Ancion (Huy), 1645.
Die der Hl. Agnes geweihte Kirche wurde nach der Stiftung des Beginenhofes in Sint-Truiden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gebaut. Sie enthält spätromanische und frühgotische
Stilelemente. Der Chor wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts angefügt, das hölzerne Tonnengewölbe stammt aus dem 15. Jahrhundert. Ab 1926 war die Kirche nicht mehr in Gebrauch. 1934 begann man mit
der Restaurierung, aber erst fünfzig Jahre später konnten die Arbeiten, die man 1975 wieder aufgenommen hatte, abgeschlossen werden. Seitdem wird der Raum für Ausstellungen genutzt (Provinciaal
Museum Begijnhofkerk Sint-Truiden). Seit 1998 gehört die Kirche zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Schon sehr früh besaß die Begijnhofkerk eine Orgel. Aus dem noch erhaltenen Kontrakt mit Christian Ancion aus Huy, der 1644 die neue – bis heute erhaltene – Orgel baute, geht hervor, dass er eine
Vorgängerorgel in Zahlung nahm. Nur wenige Orgelbauten sind von Christian Ancion und seinem Bruder oder Sohn Remigius Ancion bekannt. Sein Instrument in der Begijnhofkerk ist heute die älteste
spielbare Orgel in Flandern.
Die Orgel hat im Laufe der Zeit kaum Veränderungen erfahren. Vermutlich 1848 erhielt sie einen neuen Magazinbalg. Außerdem wurden die Klaviatur erneuert und einige Pfeifen ersetzt. Nachdem die
Kirche 1926 nicht mehr genutzt wurde, geriet die Orgel in Vergessenheit und vierfiel. Als es um die Wiederaufnahme der Restaurierungsarbeiten in der Kirche ging, baute die Werkstatt Dirk Andries
Flentrop (Zaandam) die Orgel ab und lagerte sie ein.
Mit der Fertigstellung der Arbeiten in der Kirche erhielt der Orgelbauer Pierre Decourcelle (Mont-Saint-Aubert, Tournai) 1995 den Auftrag, die Orgel wieder aufzustellen. Dabei restaurierte er das
wertvolle Instrument sorgfältig, fehlendes Pfeifenwerk und Klaviatur wurden stilgetreu rekonstruiert. Die Windversorgung besteht nun aus drei vierfaltigen Keilbälgen. Die Windlade aus Eichenholz
ist an der Unterseite mit Pergament abgedichtet, das eine Musikhandschrift mit einer Caecilien-Messe aus dem 16. Jahrhundert enthält.
Der ungewöhnliche Teilungspunkt zwischen Bass und Diskant bei cis¹/d¹ ist auffällig. Das Nebenregister „Tambour“ besteht aus zwei hölzernen Basspfeifen, die schwebend zueinander gestimmt sind.
Die Spielanlage ist in die Rückseite des Orgelgehäuses eingebaut. Dabei liegen die Registerzüge untereinander links und rechts neben dem Notenpult. Rechts unten ist ein hölzerner Hebel zum
Einhaken, durch den der Tremulant eingeschaltet wird. Von den drei hölzernen Knöpfen in der rechten Klaviaturbacke sind zwei mit den Nebenregistern „Tambour“ und „Rossignol“ verbunden, der dritte
ist für das Ventil.
Die Stimmung ist mitteltönig mit a¹ bei 402 Hz. Der Winddruck beträgt 79 mm WS.
MANUAL | C/E–c³
Monstrance [4’]
Holpÿp [8’]
Flute [4’]
Doublette [2’]
Dyton [= rep. Terz] [2/5’]
Cifflet [1 1/3’]
Cornet [3f. ab d¹]
Mixture [2f.] [2/3’]
Cymbal [1f.] [1/3’]
Claron bas [4’]
Trompette sup [= Disk.] [8’]
Ventille, Rossignol, Tambour.
Mechanische Schleiflade.
B-3800 Sint-Truiden | Begijnhof 25/33
Quellen und Literatur: Kristien Vrancken, Het Ancion-orgel van de Begijnhofkerk te Sint-Truiden, Rijkel 1996 ⋄ Erik van der Heijden, Orgellandschaft zwischen Maas und Rhein, Mettlach 2005, S. 124–126 ⋄ Eigener Befund.
Nr. 245 | Diese Orgel habe ich am 03.08.2005 gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 09.07.2023.
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© Dr. Gabriel Isenberg, 2023