Siegen, Nikolaikirche

Orgel von Emanuel Kemper & Sohn (Lübeck), 1955.


Bildersammlung Gabriel Isenberg (Bildquelle unbekannt)
Bildersammlung Gabriel Isenberg (Bildquelle unbekannt)

Die Orgelgeschichte in der schon von weitem sichtbar in der Siegener Oberstadt markant aufragenden Nikolaikirche mit ihrem außergewöhnlichen hexagonalen Grundriss und dem goldenen „Krönchen“ reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Möglicherweise wurde bereits 1517 parallel zum Orgelneubau in der benachbarten Martinikirche ein kleines Positiv in der Nikolaikirche aufgestellt. Den ersten nachreformatorischen Orgelneubau, der 1636/37 durch den renommierten Kölner Orgelbauer Hieronymus Ruprecht ausgeführt wurde, beauftragte die katholische Gemeinde, der bis 1650 die Nikolaikirche gehörte. Zwei weitere Orgeln (eine große und eine kleine) entstanden nach der Übertragung des genannten Instruments 1650 in die neue katholische Pfarrkirche St. Johannes. Das 1689/90 von Johann Georg Alberti aus Dortmund errichtete Instrument war demzufolge (abgesehen von der o. g. Zweitorgel) der vierte Orgelneubau in der Geschichte der Nikolaikirche. Dieser hatte nach einem größeren Umbau durch Arnold Boos (Niederndorf) in den Jahren 1794/96 Bestand bis zum großen Orgelneubau des renommierten Orgelbauers Friedrich Ladegast aus Weißenfels 1875/77. Nach mehreren Umbauten (Oskar Ladegast 1903, Paul Faust 1927/28 und 1939) ging diese Orgel im Bombenhagel am 16. Dezember 1944 verloren.

In der nach dem Krieg wieder aufgebauten Kirche wurde schließlich 1955 die heutige Orgel durch die Firma Emanuel Kemper & Sohn aus Lübeck errichtet. Bei der Planung dieser Orgel, die seinerzeit als größte mechanische Schleifladen-Orgel Westfalens gepriesen wurde und auch heute noch zu den größten Orgeln Südwestfalens zählt, war Helmut Winter maßgeblich beteiligt, der von 1943 bis 1955 als hauptamtlicher Organist an der Nikolaikirche wirkte. Begleitet wurde der Orgelneubau durch akustische Messungen des Braunschweiger Professors Werner Lottermoser, durch die zum einen der geeignetste Standort der Orgel im Kirchenraum bestimmt werden sollte, und die außerdem als Grundlage für die obertonreiche Disposition und Intonation genommen wurden, die ganz im Sinne des neobarocken Klangideals lag. Es war damals der Versuch, auf wissenschaftlich-akustischer Grundlage dem Klang der erhaltenen Barockorgeln so nahe wie möglich zu kommen. Umfangreiche Renovierungsmaßnahmen durch die Fa. Kreienbrink (Osnabrück) 1993/94 gaben dem Instrument einen stärker grundstimmenbetonten Charakter. Dabei wurden u. a. die Trakturen neugebaut, die Registersteuerung sowie die Koppeln elektrifiziert und v. a. im Schwellwerk etliche Dispositionsänderungen vorgenommen.

Die Orgel ist in fünf Teilwerke gegliedert: Am direktesten in den Kirchenraum spricht das kammermusikalisch besetzte Rückpositv. Das Hauptwerk befindet sich frontal über der Spielanlage mit Prinzipalpfeifen im Prospekt und der horizontalen Feldtrompete. Dahinter befindet sich, ganz hinten oben im Turmraum, das Schwellwerk. Das Oberwerk steht, ohne Gehäuse, oberhalb der Hauptwerkslade. Und das für die Bauzeit typischerweise üppig besetzte Pedalwerk ist auf mehreren Laden in den seitlichen Prospektfeldern und im Turmraum vor dem Schwellwerksgehäuse untergebracht.

Bei allem Respekt vor der inzwischen historischen Dimension des Instruments zeigt die Konzeption – auch in der veränderten Situation seit 1993/94 – große klangliche und technische Schwächen, die letztlich nur durch einen von Grund auf neu geplanten Orgelbau behoben werden könnten. Daher gibt es schon seit Längerem Überlegungen, die in diese Richtung weisen.

I. RÜCKPOSITIV | C–g³

Singend Gedackt 8'

Quintade 8'

Prinzipal 4'

Rohrflöte 4'

Salizional 4'

Flachflöte 2'

Quinte 1 1/3'

Sesquialtera 2f.

Scharff 5f.

Dulzian 8' [1993 aus HW]

Tremulant

Koppel III–I

Koppel IV–I

II. HAUPTWERK | C–g³

Bordun 16'

Prinzipal 8'

Gemshorn 8'

Oktave 4'

Spitzflöte 4'

Nasat 2 2/3'

Oktave 2'

Mixtur 6f.

Fagott 16' [1993 neu]

Trompete 8' [1993 neu]

Feldtrompete 8'

Tremulant

Koppel I–II

Koppel III–II

Koppel IV–II

III. SCHWELLWERK | C–g³

Stillgedackt 16'

Hohlflöte 8' [1993 neu]

Gamba 8'

Vox coelestis 8'

Ital. Prinzipal 4' [1993 neu]

Schweizerpfeife 4'

Quinte 2 2/3'

Waldflöte 2'

Terz 1 3/5'

Septime 1 1/7'

Streichmixtur 5f.

Scharff 3f.

Trompette harm. 8' [1993 neu]

Hautbois 8' [1993 neu]

Tremulant

Koppel IV–III

IV. OBERWERK | C–g³

Spitzgedackt 8’

Gedacktflöte 4’ [1993 veränd.]

Rohrflöte 2’

Oktave 1’

Scharff 3f. [1993 veränd.]

Vox humana 8’

Tremulant


PEDAL | C–f¹

Prinzipal 16'

Untersatz 16'

Oktave 8'

Holzgedackt 8'

Oktave 4'

 

Bordun 4'

Nachthorn 2'

Mixtur 8f.

Rauschpfeife 4f.

Posaune 32'

 

Posaune 16'

Trompete 8'

Trompete 4' [1993 veränd.]

Klarine 2'

Tremulant

 

Koppel IV–P

Koppel III–P

Koppel II–P

Koppel I–P


Setzeranlage (4 Ebenen, 8 Gruppen, 8 Kombinationen, mit Schlüssel) mit Setzknopf, Nulltaster und Sequenzern; Fußpistons für Sequenzer und Koppeln.

Schleiflade, mechanische Spieltraktur und elektrischer Registertraktur und elektrischen Koppeln.

Inhalte von Google Maps werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell), um den Cookie-Richtlinien von Google Maps zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Google Maps Datenschutzerklärung.

D-57072 Siegen | Krämergasse 2


Quellen und Literatur (Auswahl): Heinrich Zipp, Die Orgel der Nikolaikirche zu Siegen, in: Heimtland. Beilage zur Siegener Zeitung, Nr. 11, 1927, S. 161–168 ⋄ Werner Lottermoser, Orgelneubau auf akustischer Grundlage (Hauptorgel St. Nikolai in Siegen/Westfalen), in: Gravesaner Blätter 4, (Mainz) 1958/59, Heft 11/12, S. 131–145 ⋄ Hermann J. Busch, Die Orgeln des Kreises Siegen, Berlin 1974, S. 156 ff ⋄ Die Orgel der Nikolaikirche zu Siegen (Festschrift zur Orgelweihe 1994) ⋄ Gabriel Isenberg, Frühe Orgeleschichte von Siegen und Wittgenstein bis zum 17. Jahrhundert, in: Siegerland. Blätter des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins e. V., Bd. 92, 2015, S. 49–64 ⋄ Gabriel Isenberg, Orgellandschaft im Wandel (Teil 2): Orgelinventar des Kreises Siegen-Wittgenstein von den Anfängen bis 1945, in: Westfalen 98 (2020), S. 83–225, hier S. 157–162 ⋄ Gabriel Isenberg, Gutachten zur Orgelsituation, 17.08.2020 ⋄ Eigene Forschungen und eigener Befund.

 

Nr. 78 | Diese Orgel habe ich zum ersten Mal am 08.11.1999 besucht und danach in zahlreichen Konzerten und bei anderen Gelegenheiten gespielt.

© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 04.11.2023.