Orgel: Alfred Führer (Wilhelmshaven), 1958/1994.
Gehäuse: Marten de Mare (Bremen), 1611 und Reiner Caspary (Altona), 1737 (Pedaltürme).
Die Ansgarii-Pfarrei in Bremen ging aus dem einem Kollegiatsstift hervor, aus dem 1229 das Ansgarii-Kirchspiel abgetrennt wurde. Im 16. Jahrhundert bildete die Gemeinde den Ausgangspunkt der Reformation in Bremen. Standort der alten St.-Ansgarii-Kirche, deren gotischer Basilikabau im 14. Jahrhundert vollendet worden war, war bis ins 20. Jahrhundert hinein die Bremer Altstadt. In Folge mehrerer Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg wurde die bis dahin stadtbildprägende Kirche 1943/44 vollständig zerstört und die Ruine später abgerissen. Nach dem Krieg wurde Juli 1948 an der Ecke Schwachhauser Heerstraße / Holler Allee eine Notkirche eingerichtet.
Die heutige St.-Ansgarii-Kirche entstand in den Jahren 1955–57 am gleichen Standort im Bremer Stadtteil Schwachhausen nach den Plänen und unter der Bauleitung des Architekten Fritz Brandt. Der moderne Bau im Basilika-Stil sollte auch einen angemessenen Raum schaffen für die geretteten Ausstattungsstücke aus der zerstörten Kirche.
Die erste Orgel erhielt die alte Ansgarii-Kirche offenbar bereits im 14. Jahrhundert, denn 1356 wünschte sich die Witwe Margareta Cornepaghen, dass beim von ihr gestifteten Margaretenfest nicht nur das Glockengeläut und eine öffentliche Predigt, sondern auch das Orgelspiel nicht fehlen dürfe, wie in einer Urkunde vom 17. Dezember 1356 bestätigt wurde.
1611 baute der Orgelbauer Marten de Mare, der aus den Niederlanden stammte und 1595 das Bremer Bürgerrecht erworben hatte, zum Preis von 500 Reichsthalern eine neue Orgel. De Mare muss während des Neubaus verstorben sein, die Fertigstellung erfolgte durch einen seiner Gesellen. Das am 11. August 1611 eingeweihte Instrument war seinerzeit die größte Orgel in den Bremer Stadtkichen. Der bis heute erhaltene Orgelprospekt (ohne die später hinzugefügten Pedaltürme) zeigt in seiner Grundstruktur gotische Züge mit barocken Merkmalen in den vorgezogenen Mitteltürmen.
In den Jahrzehnten nach dem Bau erfolgten mehrfach kleinere Reparaturen, die unter anderem aufgrund von Rattenfraß nötig waren. Eine umfassendere Instandsetzung nahm Hermann Kröger aus Nienburg 1665 vor, wobei unter anderem sechs neue Bälge eingebaut wurden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erfolgten einige Umbauten, die zunächst durch den berühmten Arp Schnitger aus Hamburg bzw. seinen Vertreter und Meistergesellen in Bremen, Gregorius Struve, ausgeführt wurden: 1713 erhielt das Rückpositiv die beiden neuen Register Dulcian 16' und Trichterregal 8', und zu den weiteren, bis 1718 ausgeführten Veränderung gehörte eine Überarbeitung der Bälge sowie die Einrichtung neuer Koppeln und Sperrventile. Die Orgel hatte nun 42 Register auf drei Manualen und Pedal.
Reiner Caspary aus Altona nahm 1736/37 eine erneute Erweiterung vor, bei der er die beiden Pedaltürme hinzufügte, die der Orgel das bis heute erhaltene Erscheinungsbild verliehen. Immer wieder im Laufe der Geschichte war der Blitz in den hohen Turm der St.-Ansgarii-Kirche eingeschlagen und hatte mehrfach Schäden an der Orgel hervorgerufen. Besonders groß waren die Schäden bei einem Blitzschlag 1756 – es heißt, dass die Windlade entzwei gespalten und eine Pfeife der Schalmey 8' wie nach einem Schuss durchbohrt worden sei. Daraufhin führte Heinrich Wilhelm Eckmann aus Quakenbrück 1756/58 eine umfassende Reparatur und Wiederherstellung aus.
Das Ende der in über 250 Jahren gewachsenen Orgel war der Neubau durch die Fa. Furtwängler & Hammer (Hannover) als op. 305 im Jahr 1894. Für den Neubau mit 51 Registern auf pneumatischen Kegelladen wurde nur das historische Gehäuse von 1611 (mit den späteren Erweiterungen) wiederverwendet. Das Rückpositivgehäuse wurde als Notenschrank benutzt, da der Plan, das Rückpositiv als viertes Manualwerk einzurichten, nicht zur Ausführung kam. 1917/18 nahm die Erbauerfirma Furtwängler & Hammer einen Umbau der Orgel vor, der im Firmenkatalog als op. 844 geführt wurde. Der totalen Kriegszerstörung fiel das gesamte Orgelwerk zum Opfer; das Gehäuse war allerdings vorher sicher ausgelagert worden, so dass es die Kriegszweiten weitgehend unbeschadet überdauerte.
Somit konnte das wertvolle historische Gehäuse 1958 für den Orgelneubau in der neuen St.-Ansgarii-Kirche in Schwachhausen wiederverwendet werden. Das neue Instrument baute die renommierte Orgelbauwerkstatt Alfred Führer in Wilhelmshaven mit 61 Register (4.427 Pfeifen) auf vier Manualen und Pedal mit mechanischen Schleifladen und Doppelregistratur. Dispositionsänderungen erfolgten in den Jahren 1961, 1966 und 1976. Eine umfangreiche Renovierung nahm die Erbauerwerkstatt 1994 vor, dabei erhielt die Orgel eine neue Spielanlage mit einer elektronischen Setzeranlage; außerdem wurde die Disposition erneut verändert, der Winddruck erhöht und die Intonation überarbeitet.
2006/07 fand eine Restaurierung des historischen Gehäuses statt. 2021 wurde das Instrument durch die Orgelbaufirma Karl Schuke (Berlin) gereinigt, saniert, geringfügig umdisponiert und mit einer neuen Setzeranlage ausgestattet.
I. RÜCKPOSITIV | C–g³
Praestant 8'
Gedackt 8'
Quintatön 8'
Praestant 4'
Rohrflöte 4'
Oktave 2'
Waldflöte 2'
Tertian 2f. [1 3/5']
Glöckleinton 1'
Scharff 4f. [1']
Dulcian 16'
Krummhorn 8'
Schalmey 8'
Tremulant R.P.
II. HAUPTWERK | C–g³
Praestant 16'
Praestant 8'
Gambe 8' [bis 2021 Gemshorn]
Rohrflöte 8'
Oktave 4'
Hohlflöte 4'
Quinte 2 2/3'
Oktave 2'
Kornett 5f. [8' ab gº]
Mixtur 8f. [2']
Terzzimbel 3f.
Trompete 16'
Trompete 8'
Koppel IV–II
Koppel III–II
Koppel I–II
III. SCHWELLWERK | C–g³
Pommer 16'
Ital. Principal 8'
Salicional 8' [bis 2021 Dulzflöte]
Vox coelestis 8' [b. 2021 Schwebung]
Principal 4'
Flute deuce 2'
Quinte 1 1/3'
Mixtur 5f. [2']
Fagott 16'
Trompete 8'
Oboe 8'
Clairon 4'
Koppel IV–III
IV. KRONWERK | C–g³
Gedackt 8'
Blockflöte 4'
Nasard 2 2/3'
Principal 2'
Nachthornterz 1 3/5'
Scharff 4f. [1 1/3']
Vox Humana 8'
Tremulant K.W.
PEDAL | C–f¹
Praestant 16'
Subbass 16'
Zartbass 16' [Transm.]
Quinte 10 2/3'
Oktave 8'
Gedackt 8'
Choralbass 4'
Gemshorn 4'
Nachthorn 2'
Mixtur 3f. [2']
Mixtur 5f. [2 2/3']
Posaune 32'
Posaune 16'
Bombarde 8'
Hohe Trompete 4'
Cornett 2'
Koppel III–P
Koppel II–P
Koppel I–P
Zimbelstern
Elektronische Setzeranlage (2021).
Mechanische Schleiflade mit Doppelregistratur.
D-28209 Bremen-Schwachhausen | Schwachhauser Heerstraße 40
Quellen und Literatur: Uwe Pape und Winfried Topp, Orgeln und Orgelbauer in Bremen, Berlin 1998, S. 104ff und S. 291ff ⋄ Uwe Pape, Die große Orgel in St. Ansgarii Bremen, Bremen
2008 ⋄ Eigener Befund.
Nr. 412 | Diese Orgel habe ich zum ersten Mal am 13.07.2011 gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 20.05.2025.
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© Dr. Gabriel Isenberg, 2023/25