Lübeck

Ev.-luth. St. Jakobi – Stellwagen-Orgel

Orgel: Friedrich Stellwagen (Lübeck), 1637 (mit Material von 1467 und 1515).


Foto: Hans-Jörg Gemeinholzer, 10.06.2017 / wikimedia.org
Foto: Hans-Jörg Gemeinholzer, 10.06.2017 / wikimedia.org

Die Stellwagen-Orgel an der Nordwand der Lübecker St.-Jakobi-Kirche ist eine der herausragenden, kulturgeschichtlich bedeutendsten historischen Orgeln Deutschlands. Ihre Geschichte reicht zurück bis in das Jahr 1467: Aus dem Bestand der spätestens in diesem Jahr (ungefähr zeitgleich mit der Hauptorgel im Westen der Kirche) errichteten Blockwerk-Orgel sind bis heute einzelne Register erhalten. Die bis heute vorhandene spätgotische Gehäusefassade des Hauptwerks wurde 1515 im Auftrag der Bruderschaft „Zum heiligen Leichnam“ und der Bruderschaft der Krämer angefertigt. (Die im Jahr 1334 geweihte St.-Jakobi-Kirche ist eine der fünf evangelisch-lutherischen Hauptpfarrkirchen Lübecks und war die Kirche der Seefahrer und Fischer.)

Nach Einführung der Reformation in Lübeck 1531 wurde die Orgel lange Zeit vernachlässigt. Als in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs allerdings auch die inzwischen desolate große Orgel nicht mehr genutzt werden konnte, war eine Wiederherstellung der Nordorgel unumgänglich. Aufgrund von kostenintensiven Arbeiten am Kirchturm war der Bau einer gänzlich neuen Orgel nicht möglich, so dass die noch gut erhaltenen Windladen und ein Teil des Pfeifenwerks für die Wiederherstellung des Instruments wiederverwendet werden konnten. Finanzielle Unterstützung für das Vorhaben bot eine Stiftung des Lübecker Kaufmann David Lemke, an den bis heute das auf dem Rückpositiv angebrachte Wappen erinnert. Der damalige Jakobi-Organist Joachim Vogel erteilte dem jungen Friedrich Stellwagen, der sich kurz zuvor als Orgelbauer in der Hansestadt niedergelassen hatte, 1636 den Auftrag zur Wiederherstellung der Orgel. Zu den umfassenden Arbeiten, die laut einer Windladeninschrift Stellwagens am 29. November 1637 abgeschlossen waren, gehörte eine Umarbeitung des Hauptwerks von der Blockwerk- zur nun in Einzelreihen registrierbaren Schleiflade. Außerdem fügte Stellwagen ein Brustwerk, ein Rückpositiv sowie (hinter dem Orgelgehäuse) ein Pedalwerk (u. a. mit zwei Transmissionen) hinzu. Mit ihren nun 31 Registern war die Orgel schon zu ihrer Zeit eines der herausragenden Instrumente in der reichen Hansestadt an der Trave.

Eine laut Inschrift von 1710 zu Beginn des 18. Jahrhunderts notwendige „gründliche Renovation“ der Orgel kam mangels nötiger Geldmittel nicht zustande. Die Inschrift stammt von Hans Hantelmann, dem Gesellen Arp Schnitgers, der zuvor die Lübecker Domorgel aufgebaut hatte. In den folgenden Jahrzehnten gab es Reparaturen durch Christoph Erdmann Vogel 1737 und Didrich Lindten 1754. Im Jahr 1786 ersetzte der Lübecker Orgelbauer Joachim Christoph Kaltschmidt die acht Faltenbälge durch vier größere Einfaltenbälge; außerdem fügte er eine Koppel vom Rückpositiv ans Hauptwerk hinzu, und die im Pedal nutzbaren Stimmen des Hauptwerks erhielten die bislang fehlenden Töne Fis und Gis. Schließlich stimmte er das ganze Werk gleichschwebend.

1835 nahm der junge Lübecker Orgelbauer Theodor Vogt einige kleinere Dispositionsänderungen vor; 1848 reduzierte er die Zahl der Chöre in der Mixtur und der Rauschquinte im Hauptwerk. Später soll der stellvertretende Domorganist und Orgelbauer Karl Friedrich Johannes Brinkmann weitere kleine Veränderungen an der Orgel vorgenommen haben. 1889/90 erhielt das Gehäuse seine bis heute erhaltene Farbfassung. 1894 arbeitete Emanuel Kemper an der Orgel und baute unter anderem neue Manualklaviaturen ein, wobei auch die Schiebekoppel durch einen neuen Koppelmechanismus ersetzt wurde.

Aufmerksamkeit erweckte die Orgel bei der Organistentagung, die vom 6. bis zum 8. Juni 1925 in Hamburg und Lübeck stattfand: Man erkannte schon zu dieser Zeit den historischen Wert des Instruments. Am 1. Januar 1931 trat der junge Hugo Distler seinen Dienst als Organist an der Jakobikirche an. Auf seinen Wunsch hin nahm die Orgelbauwerkstatt Kemper 1935 im Rahmen einer Renovierung die Erneuerung der Mechanik sowie die Erweiterung der Pedaldisposition vor.

Durch die Auslagerung der Orgel 1942 nach Nusse im Kreis Herzogtum Lauenburg überstand das Instrument die Angriffe des Zweiten Weltkriegs weitgehend unbeschadet. Und auch die Kirche blieb als eine der wenigen Lübecker Kirchen während des Bombenangriffs in der Palmsonntagsnacht 1942 ohne größere Schäden. So konnte die Orgel bereits 1946 durch die Lübecker Orgelbaufirma Emanuel Kemper & Sohn wieder eingebaut werden. Sie galt nach Kriegsende als die einzige erhaltene und wieder spielbare historische Orgel Lübecks.

Im Jahr 1977/78 führte die Orgelbauwerkstatt Gebr. Hillebrand aus Altwarmbüchen bei Hannover eine grundlegende, nach strengen denkmalpflegerischen Gesichtspunkten durchgeführte Restaurierung der Orgel aus. Spiel- und Registertraktur sowie Spielanlage und Subbass 16' wurden rekonstruiert. Außerdem erweiterte man das (ohnehin nicht mehr originale) Pedalwerk gegenüber dem Konzept Stellwagens und stellte die neue Pedallade mit dem Pfeifenwerk etwas erhöht hinter dem Hauptwerksgehäuse auf. Die originale Chorton-Stimmmung (ca. einen Ganzton höher als die heute übliche Kammertonstimmung) wurde wiederhergestellt.

In den 1990er Jahren wurden bei den gotischen Pfeifen, vor allem im Hauptwerksprospekt, Zersetzungserscheinungen durch Bleiweiß entdeckt. Um das wertvolle historische Pfeifenmaterial zu retten, wurde 1998 das von der Europäischen Union geförderte Projekt „Collapse“ ins Leben gerufen, an dem sich mit der Kirchengemeinde St. Jakobi das Göteborg Organ Art Center (GOArt) gemeinsam mit der Technischen Universität Chalmers Göteborg, die Universität Bologna und die Orgelbaufirma Marcussen & Søn (Apenrade) beteiligten. 2005 konnten die langwierigen Rettungsarbeiten zum Abschluss gebracht und die befallenen Pfeifen wieder eingebaut werden.

I. RÜCKPOSITIV | C/E–c³

Gedackt 8'

Quintadena 8'

Prinzipal 4'

Hohlflöte 4'

Sesquialtera 2f.

Scharf 3–4f.

Trechterregal 8'

Krummhorn 8'

Tremulant RP

II. HAUPTWERK | C/E–c³

Prinzipal 16' *

Oktave 8' *

Spillpfeife 8'

Oktave 4' *

Nasat 3'

Rauschpfeife 2f. (*)

Mixtur 4f.

Trompete 8'

Schiebekoppel BW–HW

Koppel RP–HW

III. BRUSTWERK | C/E–c³

Gedackt 8'

Quintadena 4'

Waldflöte 2'

Zimbel 2f.

Regal 8'

Schalmei 4'

Tremulant HW/BW

PEDAL | C–d¹

Subbaß 16' °

Oktave 8' °

Spillpfeife 8' [Transm. HW]

Oktave 4' °

Gedackt 4' (*)

Flöte 2' °

Rauschpfeife 2f. [4f.] °

Posaune 16' °

Trompete 8' [Transm. HW]

Trompete 4' °

Regal 2' °

Tremulant Ped.

Koppel HW–Ped.


* = Register aus gotischer Zeit; ° = Register von 1978; alle übrigen Register weitgehend von Stellwagen 1637.

Mechanische Schleiflade (im Hauptwerk: Von Stellwagen 1637 umgearbeitete Blockwerklade aus der Zeit um 1500).


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D-23552 Lübeck | Jakobikirchhof 1


Quellen und Literatur (Auswahl): Dietrich Wölfel, Die wunderbare Welt der Orgeln. Lübeck als Orgelstadt, Lübeck 1980 ⋄ Dietrich Wölfel, Die Geschichte einer historischen Orgel in Lübeck, Lübeck 2010 ⋄ Eigener Befund.

Nr. 699 | Diese Orgel habe ich am 10.06.2025 im Rahmen der VOD/BDO-Tagung in Lübeck besucht.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 18.06.2025.