Orgel: Johann Berenhard Klausing (Herford), 1713 (1819 aus dem Dominikanerkloster Osnabrück nach Melle übertragen).
Restaurierung und Rekonstruktion: Hendrik Ahrend (Leer-Loga), 2008/09.
Die ältesten Bauteile der St.-Matthäus-Kirche in Melle südöstlich von Osnabrück – Nordwand und Turm – stammen noch aus der Zeit um 1200; 1375 wurde die Kirche um den gotischen Chor und ein Seitenschiff erweitert. Nach der Reformation, die in Melle 1545 eingeführt wurde, wurde die Kirche simultan genutzt, bis 1651 die evangelische Petrikirche erbaut wurde.
Schon in dieser Zeit muss es eine Orgel in der Matthäuskirche gegeben haben, denn in den Kirchenrechnungen von 1589 ist die Reparatur einer Orgel zum Preis von 6 Thalern verzeichnet. Im Zuge der Wartenbergschen Visitation 1651 nach dem Dreißigjährigen Krieg ist von einem Orgelpositiv die Rede, das sich an der Kirchen-Nordwand oberhalb der Sakristei befand; der Zugang zu der Orgel erfolgte über den Lettner. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten lag die Plege des Instruments in den Händen des Herforder Orgelbauers Hinrich Klausing und seiner Söhne Johann Berenhard und Christian.
Beim großen Meller Stadtbrand 1720 wurden der Turm und das Dach der Matthäuskirche zerstört – und ebenso die auf dem Kirchenboden untergebrachten Orgelbälge. Nach der Wiederherstellung der Kirche erhielt 1721 der Osnabrücker Orgelbauer Johann Adam Berner den Auftrag zur Wiederherstellung der Orgel. Dem entsprechenden Vertrag sind Details zur Beschaffenheit des bisherigen Instruments zu entnehmen, bei dem es sich demnach um ein einmanualiges Positiv mit 4'-Prospekt und einem recht geringen Tastenumfang von F bis a² handelte, was für ein recht hohes Alter des Instruments spricht. Berner vergrößerte die Orgel erheblich und erweiterte den Tonumfang bis auf c³. Die um einige Register ergänzte Disposition lautete nun vermutlich: Principal 4', Quintadena 6', Gedackt 6', Quinta 3', Flöte 2' oder 4', Sesquialtera, Mixtur 4f. und Trompete 8' B/D.
1751 führte Heinrich Wilhelm Eckmann aus Quakenbrück eine größere Reparatur durch und stellte die Orgel nun auf einer Empore an der Turmseite der Kirche auf. Im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren schließlich verschiedene Orgelbauer mit der Wartung und Pflege des Instruments betraut: Zu nennen sind Johann Gottlieb Müller (Osnabrück), Arnold Isfording (Dringenberg) und Henrich Mencke (Beckum).
Als im Zuge der Säkularisierung viele Klöster aufgehoben und die dort vorhandenen Orgeln an andere Orte versetzt wurden, erhielt auch die Matthäuskirche in Melle ein solches Instrument. Die Orgel stammte aus dem ehemaligen Kloster der Dominikaner in Osnabrück und kam 1819 als Geschenk des Weihbischofs Carl Clemens Reichsfreiherr von Gruben nach Melle (die alte Meller Orgel ging in die Marienkirche Laer bei Bad Iburg).
Die „neue“ Orgel war im Jahr 1713 von Johann Berenhard Klausing aus Herford für die Osnabrücker Dominikanerkirche gebaut worden und besaß ursprünglich 17 Register auf zwei Manualen sowie ein angehängtes Pedal. In Osnabrück stand sie zunächst auf dem Lettner, von dem aus der Pfeifenprospekt in Richtung des Langschiffs zeigte, wurde von dort weg aber bereits 1725 innerhalb der Kirche versetzt. Die Übertragung von Osnabrück nach Melle übernahm 1819 der Bremer Orgelbauer Carl Schmid, der zu dieser Zeit auch in der benachbarten Petrikirche arbeitete. Das Register Vox humana 8' wurde zuvor der Orgel entnommen und in die Orgel von St. Johann in Osnabrück eingebaut; an dieser Stelle wird in der Meller Orgel später eine Rohrflöte 4' genannt. Bei der Umsetzung nach Melle mussten außerdem aufgrund der geringeren Gewölbehöhe die Figuren entfernt werden, die das Hauptwerk bekrönten.
1833 erfolgte eine Reparatur der Orgel durch den Quakenbrücker Orgelbauer Anton Franz Schmid. 1855 legte Felix Barckhoff aus Wiedenbrück ein ausführliches Umbauangebot vor, das zwar nicht zur Ausführung kam, aus dem aber der damalige Zustand des Instruments detailliert hervorgeht. Den Umbau nahm schließlich ein paar Jahren später Melchior Kersting aus Münster vor. Der Umfang der Arbeiten geht aus dem knappen Abnahmegutachten von 1861 hervor: Veränderung der Disposition und Intonation, Ersatz der Springladen durch Schleifladen, erweiterter Tonumfang, „moderne“ gleichstufige Temperierung und Stimmtonhöhe sowie Erweiterung des Instruments durch ein eigenständiges Pedalwerk auf mechanischer Kegellade.
1864 führte Carl Krämer aus Osnabrück eine Balgreparatur aus und nahm Reparaturen am Pfeifenwerk (u. a. Posaune) vor. 1871 fügte Arnold Großjohann aus Brockhagen Oboe und Salicional als zusätzliche Register im Positiv ein. Und 1877 baute Carl Haupt aus Ostercappeln eine neue Balganlage. Die Firma Haupt kümmerte sich auch in den folgenden Jahrzehnten um die Pflege der Orgel und ersetzte im Rahmen einer Generalüberholung 1928/29 die 1917 zu Kriegszwecken ausgebauten Prospektpfeifen, lieferte neue Zungenstimmen und baute eine elektrische Windmaschine ein.
Den einschneidendsten Eingriff in ihrer Geschichte erfuhr die Meller Orgel im Jahr 1964, als die Orgelbauwerkstatt Franz Breil (Dorsten) einen technischen Orgelneubau unter Wiederverwendung des historischen Gehäuses und etlicher Register durchführte. Die alten Klaviaturen wurden ersetzt, aber aufbewahrt. Die nach damaliger Praxis als Restaurierung bezeichneten Arbeiten nahmen nur wenig Rücksicht auf die historisch gewachsene Substanz und gaben der Orgel ein ganz neues (klangliches und technisches) Gesicht.
Durch die wachsende Anzahl von Gottesdienstbesuchern wurde die Matthäuskirche 1972 durch einen modernen Anbau nach Entwürfen der Architekten Hans Ostermann und Bernt Droste erweitert, der seit 1974 als Hauptkirche (mit eigener Orgel) verwendet wird, während in der alten Kirche vorwiegend Werktagsgottesdienste, Taufen und Hochzeiten stattfinden. Und dennoch reifte nach der Jahrtausendwende der Plan, die wertvolle Klausing-Orgel in der Alten Kirche zu restaurieren und wieder ihrem ursprünglichen Zustand anzunähern. Die Restaurierungsarbeiten führte die Orgelbauwerkstatt Hendrik Ahrend (Leer-Loga) in den Jahren 2008/09 durch. Dabei waren folgende Leitlinien ausschlaggebend: 1. Technische Sanierung unter orgelhistorischen und denkmalpflegerischen Gesichtspunkten mit Rekonstruktion der Manualspringladen und der ursprünglichen Balganlage; 2. Sicherung der wertvollen historischen Pfeifensubstanz; 3. stilistische und klanglich adäquatere Annäherung an die Ursprungssituation des Instruments; 4. Wiederherstellung der ursprünglichen Stimmtonhöhe und Einstimmung der Orgel nach historischer Temperatur sowie 5. Sicherung und fachliche Restaurierung des Orgelgehäuses mitsamt des filigranen Schleier- und Schnitzwerks. Mit der gelungenen Arbeit der Werkstatt Ahrend kann die Meller Orgel nun als herausragendes Beispiel westfälischen Barockorgelbaus wieder in neuem Glanz erstrahlen.
Der Aufbau der Manualwerke lässt sich im barocken Gehäuse, das in die obere Emporenbrüstung eingebaut ist, gut ablesen. Das Pedalwerk (von Ahrend neu hinzugefügt) steht hinter dem Hauptgehäuse. Auf der linken Seite ist die Spielanlage eingebaut. Die Registerzüge sind rings um das Notenpult angeordnet.
I. UNTERWERK | C–c³
Praestant 4’ [9]
Gedackt 8’ [24]
Flaute duse 4’ [31]
Oktav 2’ [41]
Mixtur III [14]
Vox humana 8'
II. HAUPTWERK | C–c³
Praestant 8’ [41]
Bordun 16’ [1]
Gedackt 8’ [13]
Octav 4’ [40]
Rohrflaute 4’
Quint 3’ [43]
Waldflaute 2’ [13]
Sesquialt III [88]
Mixtur V [142]
Quint 1 1/3’
Posaun 16’ B/D
Trompett 8’
Tremulant
Koppel I–II
PEDAL | C–d¹
Subbas 16’
Octav 8’
Octav 4’
Posaun 16’
Trompett 8’
Koppel II–P
Ventil Pedal
[Die Zahlen in eckigen Klammern geben die Zahl der originalen Klausing-Pfeifen pro Register an, die übrigen Pfeifen wurden größtenteils von Ahrend rekonstruiert.]
Springlade (rekonstruiert) in den Manualwerken, Schleiflade im Pedal, mechanische Trakturen.
Stimmtonhöhe: a¹ = 465 Hz.
Temperierung: „Norden-Stimmung“ (1/5 pythagoreisches Komma).
Winddruck: 68 mmWS.
D-49324 Melle | Kirchstraße 4
Quellen und Literatur: Die Klausing-Orgel von St. Matthäus Melle. Zur Weihe der restaurierten Orgel am 7. Juni 2009 [Festschrift] ⋄ Eigener Befund.
Nr. 343 | Diese Orgel habe ich am 21.10.2009 besucht.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 25.05.2025.
www.orgelsammlung.de
© Dr. Gabriel Isenberg, 2023/25