Orgel: Romanus Seifert & Sohn (Kevelaer), 1972.
Die Liebfrauenkirche „Überwasser“ in Münster – vom Dom aus gesehen „über dem Wasser“, auf der anderen Seite des Flusses Aa gelegen – geht in ihrer heutigen Form als gotische Hallenkirche auf einen ab 1340 errichteten Bau zurück, der wahrscheinlich erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts mit dem Turm fertiggestellt war. Während der Zeit der Täufer in den Jahren 1534/35 wurden der Turmhelm heruntergestürzt und Kanonen auf der Plattform des Turms postiert, um die Verteidigungsfähigkeit der Stadt zu erhöhen. Dabei wurde auch die erste, „ausgezeichnete neue Orgel“ [„organum insigne et novum“) zerstört, die um 1520 angeschafft worden war. Nach der Vertreibung der Täufer wurde die Kirche wiederhergestellt und offenbar auch wieder eine Orgel aufgebaut, die im Visitationsprotokoll von 1571 genannt wird.
Auf Vermittlung durch den Kaufmann Hans Berkhoff aus Münster konnte 1579 für 520 Reichsthaler eine gut erhaltene Orgel aus der im Zuge der Reformation niedergelegten Westmonsterkerk im niederländischen Middelburg angeschafft werden. Dort war die Orgel 1565 von dem Orgelbauer Jan Rose erbaut worden, der 1579 auch die Übertragung nach Münster übernahm.
Am 6. Juni 1631 schloss die Gemeinde den Vertag zum Bau einer neuen Orgel mit Johann Busse aus Soest. Das Instrument mit 24 Registern in Hauptwerk, Rückpositiv und Pedal (Bau nachträglich vereinbart) war im Jahr 1635 fertiggestellt. Offenbar war Johann Busse kurz vor Abschluss der Arbeiten verstorben, so dass sein Schwiegersohn Arnold Bader das Werk vollendete.
Die Busse/Bader-Orgel hatte bis 1825 Bestand, als sie durch ein neues Instrument aus der Münsteraner Werkstatt von Melchior Vorenweg ersetzt wurde, das nun auf einer neu eingezogenen großen Empore im Westwerk seinen Platz fand (die bisherigen Orgeln standen auf einer Seitenempore im südlichen Seitenschiff). Die Vorenweg-Orgel war am 23. November 1826 fertiggestellt und umfasste 31 Register auf zwei Manualen und Pedal – für die Bauzeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts damals einer der aufwendigsten Orgelneubauten innerhalb der Stadt Münster.
1909/10 baute Ernst Seifert aus Kevelaer eine neue große Orgel im romantischen Stil mit 61 Registern und pneumatischen Kegelladen. Das fertige Instrument wurde am 19. Februar 1910 durch die Herren Schmidt in Münster und Sattler in Köln geprüft. Diesem Instrument waren nur rund 35 Jahre Lebensdauer beschieden, denn bei den schweren Bombardements im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche stark beschädigt, und die Orgel war gänzlich zerstört.
Schon bald nach Kriegsende begann der Wiederaufbau der Kirche – schon 1949 konnte der erste Gottesdienst wieder in der Liebfrauenkirche gefeiert werden. Es dauerte jedoch noch zwei Jahrzehnte, bis die Kirche endlich auch eine neue Orgel erhielt. Ab 1968 erfolgten umfassende Innenrestaurierungsmaßnahmen in dem Kirchenraum, so dass im Anschluss daran die Orgel eingebaut werden konnte. Das Instrument wurde 1972 von der Orgelbauwerkstatt Romanus Seifert & Sohn in Kevelaer erbaut. Die Disposition im „fortgeschritten neobarocken Stil“ (Lipski) – 1978 und 1985 durch die bislang nur vorgesehenen Register komplettiert – entwarf der Münsteraner Orgelsachverständige Rudolf Reuter.
Im Anschluss an die 2016 abgschlossene Kirchensanierung wurde 2018 die Orgel gereinigt und generalüberholt; dabei wurde anstelle der bisher vorhandenen zwei freien Kombinationen auch eine moderne Setzeranlage eingebaut.
I. RÜCKPOSITIV | C–g³
Prinzipal 8'
Gedackt 8'
Oktave 4'
Hohlflöte 4'
Quinte 2 2/3'
Waldflöte 2'
Terz 1 3/5'
Kleine Quinte 1 1/3'
Scharff 5f. 1'
Schalmei 8'
Tremulant
Koppel III–I
II. HAUPTWERK | C–g³
Bordun 16'
Prinzipal 8'
Rohrgedackt 8'
Oktave 4'
Koppelflöte 4'
Superoktave 2'
Kornett ab gº [5f.] 8'
Mixtur 4–6f. 1 1/3'
Fagott 16'
Trompete 8'
Koppel III–II
Koppel I–II
Koppel Sub III–II
Koppel Super III–II
III. SCHWELLWERK | C–g³
Holzgedackt 8'
Quintade 8'
Prinzipal 4'
Rohrflöte 4'
Oktave 2'
Quinte 1 1/3'
Oktävlein 1'
Cymbel 3–4f. 1'
Dulzian 16'
Hautbois 8'
Tremulant
PEDAL | C–f¹
Prinzipalbass 16'
Subbass 16'
Offenbass 8'
Choralbass 4'
Nachthorn 2'
Hintersatz 6f. 2 2/3'
Posaune 16'
Trompete 8'
Schalmei 4'
Koppel III–P
Koppel II–P
Koppel I–P
Elektronische Setzeranlage mit Sequenzern und Registerfessel.
Schleiflade mit mechanischer Spiel- und elektrischer Registertraktur.
D-48143 Münster | Überwasserkirchplatz
Quellen und Literatur: Rudolf Reuter, Orgeln in Westfalen, Kassel u. a. 1965, S. 270–272 ⋄ Hannalore Reuter, Historische Orgeln in Soest, Münster 2009, zur Johann Busse und
seiner Orgel in der Überwasserkirche S. 111f ⋄ Wolf Kalipp, Die Vorenweg-Orgel von 1826 in der Überwasserkirche zu Münster, in: Winfried Schlepphorst, Orgelkunst und Orgelforschung.
Gedenkschrift Rudolf Reuter, Kassel u. a. 1990, S. 69–75 ⋄ Werkverzeichnis Ernst Seifert ⋄ Eigener Befund.
Nr. 695 | Diese Orgel habe ich am 22.05.2025 im Rahmen einer Konzertvorbereitung zum ersten Mal gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 24.05.2025.
www.orgelsammlung.de
© Dr. Gabriel Isenberg, 2023/25