Göteborg

Evangelisch-lutherische Örgryte Nya Kyrka

Örgryte Kyrkogata • S-41274 Göteborg


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Kirche

Die alte Kirche im Göteborger Bezirk Örgryte wurde im 19. Jahrhundert zu klein für die stark wachsende Gemeinde. So wurde die neogotische Neue Örgryte-Kirche nach den Plänen des Architekten Adrian C Peterson erbaut und am 6. Juli 1890 eingeweiht. Als Vorbereitung zum Bau der Barockorgel-Rekonstruktion wurde die Kirche in den Jahren 1996-97 sorgfältig restauriert.

Norddeutsche Orgel

Die erste Orgel in der Örgryte Nya Kyrka errichtete die Göteborger Orgelbauwerkstatt Salomon Molander & Co. Das Instrument wurde zusammen mit dem Kirchbau fertiggestellt.

Die Molander-Orgel wurde 1922 durch den Neubau op. 1998 von E. F. Walcker (Ludwigsburg) mit 48 Registern auf drei Manualen und Pedal ersetzt. Dieses Instrument blieb nur wenige Jahre in seiner Form bestehen: Nach den Vorstellungen des damaligen Organisten errichtete die Firma Anders Mårtensson (Lund) 1939 eine neue Orgel, die von der Orgelbewegung beeinflusst war. Einige Register aus der Walcker-Orgel wurden wiederverwendet.

Anfang der 1990er Jahre wurden das Göteborg Organ Art Center (GOArt) in Zusammenarbeit mit der Universität Göteburg auf die Örgryte Nya Kyrka aufmerksam, da sie einen geeigneten Kirchenraum für die Rekonstruktion einer großen norddeutschen Barockorgel als Forschungsprojekt suchten, den sie in der Neuen Örgryte-Kirche fanden. Ziel des Projekts war die Wiederentdeckung von Arbeitsweisen und Gestaltungsformen des norddeutschen Orgelbauers Arp Schnitger (1648-1719). Wenngleich das neue Instrument dem Stil eines einzelnen Orgelbauers vepflichtet sein sollte, dienten doch mehrere Instrumente Schnitgers als Vorbild, da keine Schnitger-Orgel der geplanten Größe als Vorbild originalgetreu erhalten war.

Die Ausführung der Arbeiten lag in den Händen mehrer internationaler Orgelbauer: Henk van Eeken (Herwijnen, Niederlande) war verantwortlich für Entwürfe und technische Zeichnungen, der Japaner Munetaka Yokota für das Pfeifenwerk (Forschung, Bau und Intonation) und Mats Arvidsson (Stallarholmen, Schweden) beaufsichtigte den Bauprozess. Der Orgelbau wurde in der eigens dazu eingerichteten Orgelforschungswerkstatt der Universität Göteborg gebaut. Das ganze Projekt wurde in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Chalmers in Göteborg durchgeführt und sowohl durch staatliche Mittel, als auch durch Forschungsstiftungen – v. a. die Stiftung Riksbankens Jubileumsfond – und der schwedischen Handelsbank finanziert. Alle Aktivitäten wurden im GOArt unter der Projektleitung von Hans Davidsson gebündelt.

Die Gestaltung der Orgel ist das Ergebnis der Studie mehrerer historischer Orgeln. Pfeifenwerk und Disposition basieren hauptsächlich auf der Schnitger-Orgel in Hamburg St. Jacobi, in der sich auch Pfeifenmaterial von Scherer und Fritzsche befindet. Die Manualwindladen dieser Orgel konnten ebenfalls als Konstruktionsvorlage benutzt werden – erweitert um die Einrichtung der Subsemitonien. Die Pfeifen wurden nach dem alten Sandgussverfahren gefertigt.

Gehäuse und Spielanlage sind an der Orgel des Lübecker Doms orientiert. Der 1942 durch Kriegseinwirkung zerstörte Prospekt von 1699 – im typisch norddeutschen Werkaufbau – wurde anhand von Fotografien, Zeichnungen und Messergebnissen vom Beginn des 20. Jahrhunderts maßstabsgetreu rekonstruiert.

Die Balganlage mit 12 Keilbälgen im oberen Turmzimmer (sowohl elektrisch als auch per pedes zu bedienen) wurde nach der Orgel in der Grote Kerk Zwolle entwickelt, während der Bau der Trakturen sich nach der Orgel der Laurenskerk in Alkmaar richtet.

Um die Orgel dem Klang der Barockzeit anzunähern, wurden die alten Handwerksmethoden rekonstruiert und angewendet. Alle Forschungsergebnisse wurden parallel zum Bau dokumentiert und publiziert.

Die Örgryter Orgel ist in der terzenreinen mitteltönigen Stimmung gestimmt, die Schnitger wahrscheinlich bei den meisten seiner Instrumente angewandt hat. Um das verwendbare Tonartenspektrum zu erweitern, wurden einige doppelte Obertasten – sog. Subsemitonien – gebaut. In den Werken befinden sich pro Oktave zwei Subsemitonien pro Oktave (es/dis und gis/as). Im Rückpositiv befinden sich nach dem Modell der Hamburger Jacobiorgel zu Zeiten Matthias Weckmanns in der Mitte des 17. Jahrhunderts drei Subsemitonien. Die Registerzüge befinden sich links und rechts neben der Spielanlage. Werden die Sperrventile (auf der rechten Seite) gezogen, sind die Manuale „eingeschaltet“. Die beiden Manualkoppeln sind als Schiebekoppeln gebaut.

Die Orgelweihe der norddeutschen Orgel fand am 12. August 2000 statt. Dieses herausragende Instrument mit seinen fast 4000 Pfeifen ist die größte existierende Orgel in mitteltöniger Stimmung und sowohl ein organologisch äußert bedeutendes Experiment wie auch ein musikalisch sehr überzeugendes Medium für die adäquate Wiedergabe der nordeuropäischen Barockmusik.

I. RückPositiv CDE – c³

Principal 8f

Quintadena 8f

Gedact 8f

Octav 4f

Blockfloit 4f

Octav 2f

Quer Floit 2f

Sieffloit 11/2f

Sexquialt [2fach]

Scharff [6.7.8fach]

Dulcian 16f

Bahrpfeiff 8f

Tremulant

II. Werck CDEFGA – c³

Principal 16f

Quintaden 16f

Octav 8f

Spitzfloit 8f

Octav 4f

Super Octav 2f

Rauschpfeiff [2fach]

Mixtur [6.7.8fach]

Trommet 16f

OP/W

BP/W

III. OberPos. CDEFGA – c³

Principal 8f

Hollfloit 8f

Rohrfloit 8f

Spitzfloit 4f

Octav 4f

Nasat 3f

Gemshorn 2f

Octav 2f

Scharff [6fach]

Cimbel [3fach]

Trommet 8f

Vox Humana 8f

Zincke [ab fº] 8f

Tremulant

IV. BrustPos. CDEFGA–c³

Principal 8f

Octav 4f

Hollfloit 4f

Waltfloit 2f

Sexquialter [2fach]

Scharff [4.5.6fach]

Dlucian 8f

Trechter Regal 8f


Pedal CD – d¹

Principal 16f

SubBass 16f

Octav 8f

Octav 4f

Rauschpfeiffe [3fach]

Mixtur [6.7.8fach]

Posaunen [ab F] 32f

Posaunen 16f

Dulcian 16f

Trommet 8f

Trommet 4f

Cornet 2f

Tremulant

Nebenregister

Cimbelstern

Vogelgesang

Trommel

Nonsens

 

Sperrventiele: W, RP, OP, BP, Ped., HauptVentiel

 

Subsemitonien:

- alle Manuale: esº/disº, gisº/asº, es¹/dis¹, gis¹/as¹, es²/dis²

- im RP außerdem: bº/aisº, b¹/ais¹, gis²/as²

- Pedal: esº/disº, gisº/asº

Literatur

Joel Speerstra (Hg.), The North German Organ Research Project at Göteborg University, Göteborg 2003

© Gabriel Isenberg, 2010