Orgel von Fritz Clewing (Fulda), 1903.
Die Gründung des Klosters der „Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria“ in Hünfeld im Jahr 1895 knüpfte an die bereits seit dem 9. Jahrhundert bestehende Tradition des Klosters und Kollegiatsstifts in Hünfeld an, das allerdings im Zuge der Säkularisation 1802 aufgehoben worden war. Die neuen Klostergebäude entstanden zusammen mit der neuromanischen Kirche in den Jahren 1897 bis 1900 nach Plänen des Paderborner Architekten Arnold Güldenpfennig und wurden am 6. April 1900 eingeweiht.
Wenig später erhielt die Klosterkirche ihre erste Orgel, mit deren Bau der Fuldaer Orgelbauer Fritz Clewing am 16. Februar 1902 beauftragt wurde. Rund ein Jahr danach, am 13. März 1903, fand die Weihe des fertigen Instruments statt. Bereits im Jahr 1901 waren dem Kloster elf Register aus der alten Orgel der Hünfelder Stadtpfarrkirche St. Jakobus geschenkt worden, die Clewing nun zum Teil in sein neues Werk integrierte.
Fritz Clewing, der als einer der wenigen Orgelbauer um die Wende zum 20. Jahrhundert noch an der mechanischen Bauweise festhielt, hatte die Orgel mit mechanischen Kegelladen ausgestattet. Für die Registersteuerung verwendete er allerdings erstmals die Pneumatik. Doch das System zeigte sich bald als ziemlich unzuverlässig, so dass bereits sechs Jahre später (1909) ein größerer Umbau des Instruments vorgenommen werden musste: Die Gebr. Späth aus Ennetach bauten nun auch die Spieltraktur pneumatisch und erweiterten die Disposition von 27 auf 29 Register.
Bei einer Generalüberholung im Jahr 1923 wurden vermutlich auch die im Ersten Weltkrieg zu Rüstungszwecken abgelieferten Prospektpfeifen ersetzt. Eine größere Überarbeitung erfolgte 1952 durch die Orgelbauwerkstatt Alfred Führer (Wilhelmshaven), die die Disposition im neobarocken Sinne „aufhellte“.
Im Jahr 1973 folgte die Elektrifizierung der Trakturen und der Bau eines neuen Spieltischs mit zwei freien Kombinationen durch die Orgelbauwerkstatt Matthias Kreienbrink (Fulda/Osnabrück). 1983 erhielt die Orgel im Rahmen einer Reinigung einen neuen Tremulanten im Schwellwerk durch den Orgelbauer Klaus Gabriel (Petersberg), der seit 1973 die Fuldaer Filiale von Orgelbau Kreienbrink führte, sich 1980 selbständig machte und seitdem auch für die Pflege der Hünfelder Orgel zuständig war. 1997 wurden durch die Orgelbauwerkatt Gabriel neue Windkanäle und Ladenbälge fürs Pedal eingebaut sowie der Schwellkasten saniert. 2001 tauschte dieselbe Firma im Rahmen einer Reinigung etliche Membranen aus.
2002 wurde ein neuer Pflegevertrag mit der Orgelbauwerkstatt Werner Bosch (Niestetal-Sandershausen) geschlossen, die Orgelreinigung wurde fertiggestellt, weitere Membranen ausgetauscht, die Schwellwerksmixtur in eine Mixtur 4fach 2’ umgeändert und das ganze Instrument neuintoniert. 2003 wurde durch Bosch eine nach dem Clewing-Vorbild in Hünhan rekonstruierte Oboe 8’ anstelle der bisherigen Quinte 1 1/3’ eingebaut.
Nach den zahlreichen Veränderungen und Umdisponierungen der vergangenen Jahrzehnte führte die Orgelbauwerkstatt Jehmlich aus Dresden in den Jahren 2012/13 eine umfassende Generalsanierung der Orgel durch. Ziel der Maßnahmen war es, neben der erforderlichen Reinigung den gewachsenen Zustand denkmalgerecht zu erhalten und die Orgel klanglich und technisch zu einem harmonischen Ganzen zusammenzuführen. Dabei wurde auch die Disposition in einigen Bereichen auf den Zustand von Clewing/Späth zurückgeführt, in anderen Punkten zu einem in sich stimmigen Gesamtbild erweitert. Als zusätzliche Klangeffekte kamen Glockenspiel und Zimbelstern im Schwellwerk, ein Kuckuck und der HW-Tremulant hinzu. Und schließlich erfolgte eine grundlegende Überarbeitung und Sanierung aller technischen Bestandteile mitsamt der Windladen. Auch der Spieltisch wurde nach Clewing'schem Vorbild komplett neu gestaltet und mit modernen elektronischen Spielhilfen ausgestattet. Die Disposition umfasst nun 32 klingende Register (incl. der HW-Quinte 2 2/3' als Cornett-Auszug und dem ins Pedal transmittierten Gedackt 16').
An den Pfingsttagen 18. bis 20. Mai 2019 erfolgte die Wiedereinweihung der restaurierten Orgel, u. a. mit einem Orgelkonzert des Fuldaer Domorganisten Prof. Hans-Jürgen Kaiser.
I. HAUPTWERK | C–g³
Bourdon 16’
Prinzipal 8’
Hohlflöte 8’
Dolce 8’
Oktav 4’
Flöte 4’
Nasard 2 2/3’
Oktav 2’
Nachthorn 2’
Mixtur 4f. [1 1/3’]
Trompete 8’
Koppel II–I
II. SCHWELLWERK | C–g³
Viola 8’
Liebl. Gedackt 8’
Aeoline 8’
Vox coelestis 8’
Prinzipal 4’
Gedeckt 4’
Spitzflöte 4’
Offenflöte 2’
Kornett 2–3f. [4’] [bis 2002 Sesqu. 2f.]
Mixtur 4f. [2’, bis 2002 1']
Oboe 8’ [bis 2003 Quinte 1 1/3']
Dulzian 8’
Tremolo
PEDAL | C–f¹
Prinzipalbass 16’
Subbass 16’
Oktavbass 8’
Gedacktbass 8’
Choralbass 4’
Posaune 16’
Koppel II–P
Koppel I–P
Zwei freie Kombinationen mit Tutti und Auslöser; Registercrescendo mit „Crescendo ab“.
Elektrische Kegellade.
I. HAUPTWERK | C–f³
Bordun 16'
Principal 8'
Hohlflöte 8'
Gambe 8'
Dolce 8'
Flöte 4'
Octave 4'
Quinte 2 2/3' [VA aus Cornett]
Octave 2'
Cornett 3f.
Mixtur IV
Trompete 8'
Tremulant
Koppel II–I
Subkoppel I–I
II. SCHWELLWERK | C–f³
Gedackt 16'
Viola 8'
Liebl. Gedackt 8'
Aeoline 8'
Vox coelestis 8'
Principal 4'
Gedackt 4'
Spitzflöte 4'
Offenflöte 2'
Sesquialter 2f.
Mixtur 4f.
Oboe 8'
Dulcian 8'
Tremulant
Subkoppel II–II
PEDAL | C–d¹
Principal 16'
Subbass 16'
Gedackt 16' [Tr. aus SW]
Gedacktbass 8'
Cello 8'
Octavbass 8'
Posaune 16'
Koppel II–P
Koppel I–P
Superkoppel II–P
Glockenspiel, Zimbelstern, Kuckuck.
Setzeranlage (über Touchscreen in einer Schublade unter dem rechten Registertableau) mit einer freien und 10 abschließbaren Ebenen, je 10.000 Kombinationen, Transponiereinrichtung, freie Koppeln, Intervallkoppeln, Liedverwaltung, Aufnahme- und Wiedergabefunktion, Geschwindigkeitsregler für die Tremulanten, USB-Anschluss; sechs feste Kombinationen über Schalter oberhalb des II. Manuals (p, mf, f, ff, Pleno, Tutti), Auslöser; Crescendo-Walze (vier speicherbare Ebenen A,B,C,D).
Kegelladen mit elektrischer Spieltraktur und elektropneumatischer Registertraktur.
D-36088 Hünfeld | Klosterstraße
Quellen und Literatur: Gottfried Rehm, Der Orgelbauer Fritz Clewing und sein Werk, in: Acta Organologica 13 (1979), S. 245–246 ⋄ Gottfried Rehm, Die Orgeln des Landkreises Fulda, 1978 ⋄ www.bonifatiuskloster.de ⋄ Jehmlich Orgelbau Dresden ⋄ Eigener Befund.
Nr. 117 | Diese Orgel habe ich am 11.02.2001 gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 08.12.2024.
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